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"Es ist ein Privileg, in eine Familie hineingeboren zu werden, die an die Demokratie glaubt."Anlässlich ihrer ersten Veröffentlichung auf Deutsch - "Die sechste Nacht" - interviewte das Literaturportal schwedenkrimi.de die Stockholmer Autorin und Journalistin Annika Bryn. Im Interview macht die zweifache Mutter Mut, sich totalitären Ideologien zu widersetzen und für Demokratie und Menschenwürde zu kämpfen - und für gute Literatur.
Literaturportal schwedenkrimi.de: Deine Familiengeschichte ist geprägt vom Zweiten Weltkrieg und dem Widerstand gegen die Nazis. Wie hat dich das beeinflusst? Annika Bryn: Es ist ein Privileg, in eine Familie hineingeboren zu werden, die an die Demokratie glaubt. Die Erinnerungen meiner Großmutter brachten mich dazu, mehr über den Zweiten Weltkrieg herauszufinden und das, was ich herausfand, hat mich gegen jegliche Formen des Totalitarismus' immun gemacht - sowohl gegen radikale Ideologie von rechts als auch von links. Es zog mich also beispielsweise nie zur extremen Linken in den 70ern. Wenn Demokratie und Respekt gegenüber dem Menschenleben zur Ausnahme erklärt wird, mache ich nicht mehr mit. Wenn die Leute anfangen, vereinfachte Schlagworte zusammen in kollektiver Aufhetzung zu schreien, werde ich misstrauisch. Die Warnleuchten blinken. Literaturportal schwedenkrimi.de: Was hast du über den Zweiten Weltkrieg in der Schule gelernt und worin unterschied sich das von dem, was du von deine Eltern und deiner Großmutter erzählt bekommen hast? Annika Bryn: Der Unterricht zum Zweiten Weltkrieg und zu autoritären Ideologien war ziemlich gut. Mein norwegischer Vater hat nie über den Krieg, vor dem er floh, gesprochen, aber meine norwegische Großmutter, die blieb, erzählte sehr anschaulich von allen Alltagsdetails - die Rationierungen, die Bombenflugzeuge, die Untergrund-Zeitungen, von allen Menschen, die verschwanden. Sie schuf die Atmosphäre. Literaturportal schwedenkrimi.de: Spielte oder spielen die Erfahrungen deiner Familie für deine Kinder dieselbe Rolle wie für dich? Annika Bryn: Es liegt schon länger zurück für sie, aber ich glaube, sie haben viele und starke Eindrücke mitgenommen. Ihr Vater war auch in jeglicher Hinsicht ein wahrer Demokrat. Literaturportal schwedenkrimi.de: Als im Sommer auf unserer Homepage Naziparolen im Gästebuch auftauchten, hast du prompt reagiert und einen Eintrag ins Gästebuch gepostet. Welche Reaktionen hast du bekommen? Von den Lesern? Von den Nazis? Hast du überhaupt irgendeine Reaktion bekommen? Annika Bryn: Die einzige Reaktion kam von einer österreichischen Freundin, die fand, ich sei geradeheraus und tatkräftig. Literaturportal schwedenkrimi.de: Das Thema "Nazismus" findet sich auch in deinem ersten Kriminalroman - "Die sechste Nacht" - wider. Für wie groß hältst du die Gefahr, die heute in Schweden von Nazis ausgeht? Annika Bryn: Die Gefahr, die von den gewaltsamen Nazis ausgeht, ist nicht so sehr politischer Art, aber sie misshandeln und ermorden einzelne Personen, was schrecklich ist. Sie haben auch eine sehr bedrohliche Sprache und die Allgemeinheit mag das nicht. Die Gefahr geht momentan mehr von den ordentlich in Anzügen gekleideten Nazis der extremen Rechten aus, die versuchen, auf lokaler Ebene in Gemeinde- und Kommunalräte gewählt zu werden. Sie appellieren an das Gefühl der Einsamkeit der Menschen und der Vernachlässigung durch die führenden Politiker.
Du bist auch eine engagierte Journalistin. Bekommst du manchmal Drohbriefe oder ähnliches? Annika Bryn: Um ehrlich zu sein, schreibe ich momentan meist Bücher, nur sehr wenige Artikel. Nein, keine Drohungen. Die Aggressivsten sind tatsächlich verbitterte Antifeministen, meist Männer, deren Vokabular an das der amerikanischen Rassisten im Süden in den 50er Jahren erinnert. Der Hass ist so stark, man glaubt seinen Ohren kaum. Und das gilt sowohl für unbekannte Männer als auch für bekannte Zeitungsjournalisten! Eine gewöhnliche Beleidigung ist ausgerechnet, Feministen Nazis zu nennen. Literaturportal schwedenkrimi.de: Was war schließlich deine Motivation, "Die sechste Nacht", einen Kriminalroman mit dem Thema des Nazismus' als Hintergrund, zu schreiben? Annika Bryn: Drei Dinge: Ich wollte einen Thriller schreiben, ich wollte über den Nazismus als Erscheinung schreiben und ich wollte psychologisch über eine Reihe von Charakteren unterschiedlichen Alters und in unterschiedlichen Situationen schreiben. Ich lebe mich in alle Personen ein. Ein Rezensent schrieb, dass ich alle, auch die Schlechten, mit Wärme schildere. Das stimmt sicher. Vielleicht grollt mir deswegen niemand? Ich habe bestimmte Ansichten, aber ich verhöhne niemanden. Literaturportal schwedenkrimi.de: Was würdest du sagen: Bist du eine politische Schriftstellerin? Annika Bryn: Ich bin Humanistin. In dieser Hinsicht bin ich politisch. Ich gehöre keiner Partei an, aber ich glaube, an die Solidarität der Menschen untereinander. Wir sollten einander nicht als Kletterstangen benutzen. Ich will, dass alle dabei sein dürfen und verabscheue Klüngel und Ausnutzen. Als meine Kinder noch klein waren und Geburtstag feierten, habe ich stets die ganze Klasse in unsere kleine Zwei-Zimmer-Wohnung eingeladen.
Was würdest du sagen: Inwiefern unterscheidest du dich von deinen Kolleginnen wie Liza Marklund, Åsa Larsson, Camilla Läckberg eller Liselott Willén? Welche Gemeinsamkeiten habt ihr? Annika Bryn: Schwere Frage! Wir sind alle unterschiedlich, Gott sei Dank, das macht es interessant! Ich bin kein "schneller" Journalist wie Liza, sondern gehe vielleicht ein wenig mehr in die Tiefe mit meinen Personen und benutze eine ein wenig literarischere Sprache. Ich wesentlich mehr links als Camilla und mehr an Menschen interessiert, während sie sich mehr für die Intrige interessiert - oh weh, schwer! Gemeinsam haben wir wohl das schwedische Milieu und dass wir alle eine spannende Geschichte erzählen wollen. Wir haben unterschiedliche Schwächen und Stärken. Literaturportal schwedenkrimi.de: In Schweden ist soeben dein zweiter Krimi - "Tatort Rosenbad" - erschienen. Er spielt im politischen Milieu. Hast du dafür recherchiert oder vertraust du mehr auf deine Allgemeinbildung bei so einem Buch? Und wie war das bei "Die sechste Nacht"? Annika Bryn: Ich habe für beide Romane recherchiert; das ist ein spannender Teil der Arbeit. Für "Die sechste Nacht" habe ich mit Polizisten, Kriminaltechnikern und Bombenexperten gesprochen und sogar ausprobiert, wie eine Kalaschnikow funktioniert. Am Furcht einflößendsten war der Polizist, der vor meinen Augen mit Dynamit herumhantierte, während er mir erklärte, wie man einen Helikopter in die Luft sprengt. Ich habe mich auch mit einer Organisation - Expo - getroffen, die rechtsextremistische Bewegungen in Schweden erfasst. Außerdem habe ich Plätze besucht, die im Buch vorkommen. Auf meiner Homepage kann man einige Bilder davon sehen. Dort gibt es auch eine Stockholm-Karte für denjenigen, der sich ein wenig orientieren will. Für "Rosenbad" war ich im Justizministerium und habe mit Leute getroffen, die für die Regierung arbeiten oder gearbeitet haben. Ich habe mich auch mit Sicherheitsleuten getroffen und mit Indianern aus Guatemala und ich habe viel gelesen - Zeitungsartikel zum Beispiel und Politiker-Biografien. Literaturportal schwedenkrimi.de: Worum geht es in "Tator Rosenbad"? Annika Bryn: Das Buch ist eine Fortsetzung zu "Die sechste Nacht". Es kommen dieselben Personen vor und man erfährt, was mit ihnen seit dem letzten Mal passiert ist. Rosenbad (der Name des Regierungsgebäudes in Schweden) beginnt damit, dass meine Justizministerin eines Morgens in ihr Büro kommt und ihren Staatssekretär, einen indianischen Juristen, beinahe erschlagen vorfindet. Sie liegt in einem verschlossenen, inneren Raum der Ministerin (ich war so überrascht, als sich herausstellte, dass es einen solchen inneren Raum auch in Wirklichkeit gab!). Meine Hauptperson, die Polizistin Margareta Davidsson, wird mit dem Fall beauftragt und soll herausfinden, wer der Täter ist und ob die Gefahr weiterer solcher Attacken besteht. Dabei hat sie auch eigene Probleme - was soll sie mit ihrem viel jüngeren Geliebten machen und wie soll sie mit ihrem deprimierten und gewalttätigen Kollegen Kent umgehen? Literaturportal schwedenkrimi.de: Du liest selbst auch Krimis und schreibst Rezensionen. Wird man ein besserer Krimiautor, wenn man selbst Krimis liest oder spielt das keine Rolle? Annika Bryn: Man wird ein besserer Autor, wenn man gute Literatur liest. Sowohl Krimis als auch Romane, Poesie und Geschichte. Und lange, interessante Zeitungsartikel. Das hebt die eigenen Ambitionen und es ist gut, selbst mehr zu wissen, als man schreibt. Literaturportal schwedenkrimi.de: Wer sind deine Lieblingsautoren? Annika Bryn: Ich habe keine Lieblingsschriftsteller! Die Favoriten wechseln je nach Laune und ich mag die meisten Genres, von Homeros über Poesie bis Comics. Die Poetin Emily Dickinson fesselt mich genauso wie Modesty Blaise. Als ich jung war, hatte ich eine Dorothy Sayers-Periode, später dann eine James Herriot-Periode. Krimis lese ich gerne von Sue Grafton und Sara Paretsky, deren politischen Mut ich bewundere. Aber wenn ich schreibe, fällt es mir schwer, zu lesen. Literaturportal schwedenkrimi.de: Welches Buch, das es schon gibt, hättest du selbst gern geschrieben und warum? Annika Bryn: Zu viele, um sie alle zu nennen! Aber ich hätte nichts dagegen, wie eine Mischung aus Shakespeare, Dorothy Parker, Homeros und einem richtig guten, scharfzüngigen und warmen Humoristen zu schreiben. Und ich will, dass es Energie gibt, sowohl in dem, was ich schreibe als auch in dem, was ich lese. Literaturportal schwedenkrimi.de: Vielen Dank an Annika Bryn für das interessante Interview! Autorin: Alexandra Hagenguth/ © Oktober 2005 - Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien |
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